Klimaneutrales Leben für alle
Ich bin überzeugt: Sehr viele Menschen wollen klimaneutral leben. Nur können sie das im jetzigen Energiesystem nicht – oder nur sehr begrenzt.
Klar: Jede*r einzelne kann auf Ökostrom umstellen, weniger oder gar nicht mehr Fliegen, Autofahren oder Fleisch essen. Aber verschiedene Studien und Selbstversuche haben immer wieder gezeigt: Selbst wer nur noch mit dem Rad fährt, vegan lebt und kaum noch verreist, schafft es gerade mal den eigenen CO2-Ausstoß auf 70% des Durchschnitts zu reduzieren. Wir müssen aber auf Netto-NULL – und das bis 2035.

Warum kleben wir bei 70% fest? Weil wir einfach alle im jetzigen System gefangen sind. Weil es leider im Augenblick politisch so gewollt ist, kommt der Ökostrom nicht unbedingt bei den Menschen an, die ihn wollen. Und erst recht nicht dann, wann sie ihn wollen. Viel schlimmer noch: Im Endeffekt kleben die vermaledeiten Treibhausgase an allem was wir irgendwie konsumieren, machen oder tun. Gerade in Großstädten wie Berlin wird meist mit Gas oder Fernwärme aus Kohle geheizt, die Bahn streicht sich zwar grün an, betreibt aber selbst jede Menge Kohlekraftwerke und natürlich wird auch unser Essen und alles was wir sonst so kaufen mit fossilen Verbrennungsmotoren befördert – ob nun per Flugzeug, Schiff oder LKW.
Deswegen müssen wir das System ändern. Genauer das Energiesystem. Und das sehr schnell. Deshalb trete ich so vehement für ein fundamental neues Energie(markt)-Design ein. Ich kämpfe dafür, dass die Ideen, die wir mit der BAG Energie dazu entwickelt haben, erst ins Wahlprogramm und dann in den Koalitionsvertrag kommen. Aber dann müssen sie auch umgesetzt werden – und das passiert im Bundestag. Deshalb möchte ich da hin.
Den Hebel umlegen
Die Gute Nachricht ist: Ein klimaneutrales Energiesystem ist nicht nur längst technisch möglich. Es ist sogar günstiger und auch ansonsten in jeder Hinsicht besser. Wind- und Sonnenenergie sind die billigsten Energiequellen, die wir als Menschheit je zu nutzen gelernt haben. Und sie werden jedes Jahr günstiger. Sie sind auch die einzigen, die unseren Energiebedarf auf Dauer decken können.
Alles was wir machen müssen, ist die Kraft von Sonne und Wind möglichst schnell, möglich überall anzuzapfen – und sie gleichermaßen effizient und gerecht zu verteilen: Zwischen den Menschen und über die unterschiedlichen Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität, Industrie und Landwirtschaft) – aber dazu unten mehr.

Die Zeit ist knapp und die Aufgabe ist groß, ja. Bis 2035 müssen wir massiv Energie einsparen, effizienter werden und auch noch richtig viel Solar- und Windkraftanlagen sowie Speicher und andere neue Infrastruktur bauen – auch hier in Berlin. Aber aus über 10 Jahren Energiewende-Praxis weiß ich: Das kann, das wird gelingen – wenn möglichst viele Menschen mit anpacken. Damit das gelingt brauchen wir jetzt noch mal so einen Startschuss wie es das erste Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) im Jahr 2000 war. Eben ein neues Energiemarktdesign!
Wer kann und will, soll selbst machen können
Mein Ansatz dazu ist: Energie von Allen für Alle. So dezentral wie möglich und so zentral wie nötig. Dafür sprechen viele technische, wirtschaftliche, aber auch politische Gründe.
Erneuerbare Energien sind von ihrer Natur her eher dezentral. Darin liegt ein unglaubliches Demokratisierungs- und auch Gerechtigkeitspotenzial. Statt zwangsweise von großen Konzernen abhängig zu sein, sollten die Menschen, aber auch die Unternehmen und alle anderen Akteuer*innen vor Ort, die Chance haben – soweit sie wollen und können – ihre Energieversorgung selbst zu organisieren. Solche “energy communities” wissen oft am besten wieviel Energie sie wann brauchen – und auch wo sie Energie sparen können. Sie wissen, wo die Wind- und Solaranlagen am besten hinpassen. Und sie wissen am besten wie sie Einsparung, Verbrauch und Erzeugung zusammenbringen. Das Energiesystem sollte diese „Schwarm-Intelligenz” nutzen!
Wir brauchen dazu auch ein Recht auf Klimaneutralität – damit auch Mieter*innen Solarenergie auf ihren Dächern und an ihren Balkonen einfordern können. CO2-freies Leben darf nicht vom Geldbeutel abhängen!
Sonne und Wind statt Kohle, Öl und Gas
Es ist den wenigsten Menschen klar, aber über die Hälfte der in Deutschland genutzten Energie, und auch der so freigesetzten Treibhausgase, brauchen wir als Wärme oder Kälte. Die Hälfte davon brauchen wir für industrielle Prozesse und Gewerbe – alles vom Stahl-Schmelzen bis zu Dampf für Brauereien. Die andere Hälfte brauchen wir zum Heizen von Gebäuden sowie für Warmwasser. Fast ein Drittel aller Treibhausgase insgesamt entstehen durch unterschiedliche Arten von Mobilität. Strom macht nur gut 10% aus (siehe Grafik).

Um Kohle, Öl und Gas loszuwerden, müssen wir – neben Einsparungen und effizienterer Nutzung – die Sonnen- und Windenergie auch in diese anderen „Sektoren“ bekommen. Technisch geht das – erfreulicherweise – eigentlich sehr leicht. Wir können so sogar die Erneuerbaren besser nutzen. Denn Wind und Sonne fallen ja bekanntermaßen nicht immer gleich stark, sondern eher in „Wellen“, an (Sonne natürlich mittags und im Sommer am meisten, der Wind ist meist 8 von 48 Stunden relativ stark – siehe Grafik). Diese Energie elektrisch (in Batterien) zu speichern ist zwar möglich, aber relativ teuer – dafür aber gar nicht nötig. Als Wärme läßt sich Energie nämlich viel einfacher und günstiger speichern – und auch Elektrofahrzeuge können zumindest zum Teil nach Angebot laden.

Das Problem: Auch das ist im Augenblick politisch explizit nicht gewollt und wird durch ein unglaubliches Dickicht von Steuern, Umlagen und Abgaben, durch das niemand mehr durchblickt, erfolgreich verhindert. Auch deshalb brauchen wir einen neuen Aufbruch in ein komplett erneuerbares, integriertes Energiemarktdesign, wirksam wie das EEG, aber mit Integrationswirkung für Strom, Verkehr, Gebäude und Industrie.

Eine solidarische Europäische Energiewende
Energie ist zwar eine Bundesangelegenheit, aber die Energiewende gelingt nur europäisch. Erneuerbare laßen sich überall in Europa gut zur Selbstversorgung nutzen, aber durch geschickten Ausgleich von Energieflüssen brauchen wir insgesamt weniger Windräder, Solaranlagen und Speicher. Dieser Energie-Austausch festigt den europäischen Zusammenhalt dauerhaft und gibt dem europäischen Projekt neuen Schwung.

Deshalb müssen wir endlich anfangen, die Energiewende europäisch zu denken – auch und gerade im Bundestag. Es ist einfach sinnvoll, die sehr guten „Offshore“ Potenziale in Nord- und Ostsee, aber auch die Wasserkraft in den Alpen und Skandinavien stärker gemeinsam zu nutzen. Aber gerade in vielen Regionen in Süd- aber auch in Osteuropa gibt es so viel, und günstiges, Wind- und Sonnenenergie-Potenzial, das sich damit neue, nachhaltige Wirtschaft aufbauen läßt. Außerdem können wir dort sehr gut grünen Wasserstoff und andere synthetische Brennstoffe für die Dunkelflaute und auch für unsere eigene Industrie herstellen.
Eine Globale Energiewende auf Augenhöhe

Schließlich brauchen wir endlich eine echte Energiewende-Außenpolitik auf Augenhöhe, die weit mehr ist als nur „Import-Sicherung“ von grünem Wasserstoff. Ich durfte schon 2016 als Teil einer Expert*innengruppe im Auftrag des Auswärtigen Amts eine „Netzwerkstrategie für eine Energiewende Aussenpolitik“ entwerfen.
Leider geht es in den wenigen Konzepten, die es dazu bislang gibt, entweder um Ressourcensicherung oder um Exportförderung. Das ist aber grundfalsch. Statt eines „grünen“ Kolonialismus, brauchen wir eine globale Energiewende, um anderen Ländern und Regionen zu helfen, selbst schnell von Atom, Kohle, Öl und Gas wegzukommen. Nicht nur bei uns, gerade auch im globalen Süden steckt in der dezentralen Natur von Erneuerbaren ein enormes Demokratisierung und Teilhabepontzial.
Das wird Waren- und Energieflüsse, und in Folge auch Machtstrukturen verändern. So entstehende Konflikte müssen wir möglichst vorausschauend managen, etwa durch gerechte Verteilungsmechanismen, um langfristig Frieden zu sichern! Auch dafür will ich im nächsten Bundestag kämpfen.
Wir brauchen einen Plan

Es mag absurd klingen, aber im Augenblick gibt es keinen Plan, wie Deutschland oder Europa bis 2040 oder gar 2035 klimaneutral werden sollen. Oder überhaupt „Paris-konform“. Jedenfalls nicht von der Bundesregierung oder der EU. Und auch wir als Partei haben zwar schöne Beschlüsse, aber nichts, wo zumindest grob steht, welche Energiemengen wir wie genau bis wann genau einsparen und wie und woher wir den Rest ersetzen wollen. Wir als BAG Energie haben dazu erste konkrete Vorschläge auf den Weg gebracht – und sind dazu im engen Austausch mit unserem BuVo und auch der Bundestagsfraktion (Dazu nutzen wir ein gemeinnütziges Simulationstool – und freuen uns auch über neue Mitstreiter*innen: www.ernes.de), aber auch hier brauchen wir einen Turbo.

Bei allem Stolz auf unsere Arbeit – zu Ehrlichkeit gehört auch: Keine Oppositionspartei hat die nötigen Ressourcen, um einen bis ins Detail ausgeklügelten Masterplan vorzulegen. Aber wir wissen genug um, erstens, die wichtigsten Punkte für ein Sofortprogramm sowie, zweitens, die Grundprinzipien für ein neues CO2-neutrales Gesamt-Energiemarktdesign zu benennen. Beides müssen wir aber auch zügig auf’s Gleis bringen. Dafür möchte ich im nächsten Bundestag sorgen!
Was ich sonst noch will
Eine global gerechte Klimapolitik durch eine solidarische und partzipative Energiewende ist natürlich nur ein, wenn auch ein wichtiger, Baustein in unserem gemeinsamen Kampf für eine bessere Welt. Gleiche Rechte und Teilhabe für alle Menschen, egal woher sie kommen, woran sie glauben oder wen sie lieben, gehört genauso dazu wie eine nachhaltige Finanzpolitik, in der die Reichen und vor allem die internationalen Konzerne endlich ihren fairen Beitrag leisten. Bezahlbares, und nachhaltiges, Wohnen genauso wie Biodiversität.

Ich bin fest überzeugt: Gerade wenn wir die Kraft der Erneuerbaren und die Potenziale der Digitalisierung nutzen, entstehen ganz neue Freiräume für ein vollkommen anderes Wirtschaften und Leben, für eine gerechtere und schönere Welt mit mehr Teilhabe und vor allem mehr Spaß!
Achso: Gebt endlich das Hanf frei!