Berlin soll klimaneutral werden. Und das bis 2035. So wollen es wir Bündnisgrünen. Und so will es ich ja auch.
Aber was heißt das – konkret? Wie viel Energie können wir einsparen, und wie? Und, genauso wichtig, wieviel Energie müssen wir noch erneuerbar erzeugen. Wie? Und natürlich auch wo?
TL; DR („too long, did not read“, vulgo Kurzfassung): Selbst wenn wir 44% der bislang verbrauchten Energie einsparen, etwa indem die Anzahl der Flüge um 33% reduzieren, brauchen wir gut 6 mal mehr erneuerbare Energien in unserer Region (5,8 um genau zu sein), davon 4 mal mehr Windenergie als bisher. Vor allem aber brauchen wir RICHTIG viel mehr Solarstrom – also Photovoltaik. Insgesamt 16,5 mal, wobei das allermeiste davon auf Dächer an Fassaden oder sowie schon überbaute Fläche muss – satte 38 mal mehr Photovoltaik an und auf Gebäuden als bisher (OK, bisher ist es natürlich auch SEHR wenig, besonders in Berlin).
Wie kommen wir da drauf?
All das sind, natürlich, komplexe Fragen. Fragen, in die vieles reinspielt. Um mal mit den dicksten Brocken anzufangen: Wie viel können wir bei Wärme, Verkehr und der Produktion unserer Konsumgüter einsparen? Wie legen wir das fest? Und wer ist überhaupt wir?
Zwischeneregebnis aus einem Jahr Arbeit der LAG Energie Berlin-Brandenburg
Um mit der letzten Frage anzufangen: „Wir“ sind in dem Fall die (fusionierte) „Landesarbeitsgemeinschaft“ (LAG) Berlin-Brandenburg von Bündnis 90 / Die Grünen. Wir, vielmehr eine kleine Arbeitsgruppe die ich letztes Jahr angeschoben habe, haben in einen halben Jahr ein Vorstellung für die Energiezukunft von „Berlin-Brandenburg“ erarbeitet. Dazu haben wir das Simulationstool 100prosim benutzt.
Was ist „100prosim“?
100prosim errechnet, wie viel Wind- und Photovoltaikanlagen benötigt werden um einen bestimmten Energiebedarf zu 100% CO2-neutral zu decken. Dabei unterscheidet es sich von sonst gängigen Simulationen:
- 100prosim ist interaktiv. Sprich: so gut wie jede Annahme (mehr oder weniger Fliegen, aber auch Autofahren, Plastik verbrauchen, schneller Sanieren – kurzum so ziemlich alles was sich auf den Energiebedarf auswirkt) läßt sich hier ändern. Das ist bei so gut wie keiner anderen Simulation so. Die haben fast immer ein starres Set von Annahmen. Diese werden dann von Spezialist:innn Wochen- und monatelang analysiert. „Hinten raus“ kommen dann in der Regel drei, mit viel Glück mal fünf, unterschiedliche Szenarien.
- 100prosim ist sektorenkoppelnd, sprich es beschreibt eben nicht nur den Stromsektor, sondern betrachtet auch die Energiebedarfe für Wärme, Mobilität, aber eben auch Industrie und Grundstoffe. Es mag komisch klingen, aber bis vor Kurzem war das die absolute Ausnahme, und die wenigen etwas interaktiveren Modelle, die es gibt, beschränken sich weiter rein auf den Stromsektor.
- 100prosim integriert Speicher und Verluste, besonders die Verluste durch saisonale Speicherung. Auch das ist alles andere als selbstverständlich. Leider.
- 100prosim ist unabhängig – und gleichzeitig wissenschaftlich. An der Entstehung waren „grüne Kreise “ in Niedersachen wesentlich beteiligt. Tool und Methodik wurden dann auch in Projekten für die damalige rot-grüne Landesregierung eingesetzt und weiterentwickelt. Die Annahmen im Tool sind durch eine oder mehre wissenschaftliche Quellen belegt. Und wenn Nutzer:innen sagen, warum sie etwas anders haben wollen, müssen sie ihren eigenen Ansatz begründen und belegen.
- 100prosim ist auch „unser grünes Tool“. Viele Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften (Energie, aber auch Planen/Bauen/Wohnen, Wirtschaft& Finanzen, Landwirtschaft u.v.m.) haben es schon genutzt, um zu wissenschaftlich belastbaren Zahlen für unsere politischen Forderungen zu kommen. Unter anderm stammen die Zahlen aus dem „großen Klima-Antrag“ der BDK in Bielefeld 2019 aus 100prosim.
Natürlich ist 100prosim nicht perfekt – unter anderem ist es ein so genanntes „Ein-Knoten-Model“ ohne Netzsimulation – aber dazu erzähle ich unten mehr.
Zunächst weiter zum Prozess: Nachdem wir 100prosim von Deutschland auf Berlin-Brandenburg „transponiert“ hatten, haben wir unsere Simulation in zwei Arbeitssitzungen verfeinert. Wohlgemerkt: Wir haben über dieses Ergebnis noch nicht final abgestimmt, aber das ist erst einmal der Stand der Dinge. Ich könnte mir schlechtere Stände vorstellen – aber auch dazu mehr unten.
Ergebnisse: Was ist raus gekommen?
Bevor ich weiter auf die Methoden – und mögliche Fragen dazu – eingehe, hier erst mal mehr zu den Ergebnissen. Wichtig: Unser Ansatz hier war „radikal-realistischer Klimaschutz“, also das was wir mit „beherztem“ Handeln und starken Bündnisgrünen auf Landes- wie Bundesebene erreichen können. Weder „Ökodikatatur“ noch „GroKo for ever“ (Europa spielt uns eh einen Steilpass nach dem anderen. Nur verstolpern Altmaier, Scheuer & Co auch die beste Vorlage).
Suffizienz
Fangen wir mit der „Suffizienz“ an, also zur Frage „mit wie viel weniger glauben wir, dass wir auskommen können“. Den größten „Batzen“ hier sehen wir beim Plastik – minus 53%. Nicht unbedingt, weil wir soooo schrecklich viel weniger konsumieren wollen. Sondern weil wir glauben, dass uns tatsächlich der Einstieg in langlebige Produkte und eine einigermaßen vernünftige Kreislaufwirtschaft sehr helfen würde, „neues“ Plastik in großen Mengen zu vermeiden. Ein paar weitere wichtige Beispiele für Suffizienzgewinne in unserem Szenario:
- minus 15% beim Personenverkehr, also den pro Person im Jahr auf Straße oder Schiene zurückgelegen Kilometern. Vor allem weil wir glauben, dass – nicht zuletzt durch Corona – Dienstreisen ab- und Homeoffice zunehmen werden.
- dafür aber plus 15% beim Güterverkehr – weil wir glauben dass sich dann die Dinge mehr bewegen werden als die Menschen
- plus 13% bei der durchschnittlichen Wohnfläche pro Person. Das ist einfach ein Fortschreibung, wenn auch leicht abgeschwächt, des augenblicklichen Langfrist-Trends: Es gibt immer mehr Singles und die brauchen einfach etwas mehr Platz.
- Schließlich der Luftverkehr: Minus 33%. Hier waren wir wirklich radikal. Aber, so glauben wir, mit guten Gründen: Selbst die Fluggesellschaften selbst rechnen durch den „Zoomeffekt“ mit deutlich weniger Flugaufkommen aufgrund eines nachhaltigen Rückgangs der Geschäftsreisen. Dazu kommt, dass Fliegen sehr weit vorne in der Klima- und Energiedebatte steht und es durchaus realistisch erscheint, dass „dagegen“ deshalb tatsächlich etwas gemacht wird, z.B. durch besser Bahnverbindungen.
Effizienz
Dank des rasanten technischen Fortschritts, insbesondere bei Wärmepumpen, Gebäudedämmung und Elektromobilität können wir Energie erheblich effizienter nutzen, sprich mehr „bang for the buck“, bzw. eben weniger „Buck“, also Energieerzeugung“ pro Einheit „Bang“. Aber wie schnell kommen wir hier voran – und welchen Effekt hat das?
- Und in der Tat liegt der größte Hebel bei der Sanierung des Gebäudebestandes. Hier können wir 41% einsparen. Für die Nerds: Wir rechnen mit einer Steigerung der Sanierungsrate auf 3,2 % des Gebäudebestandes pro Jahr (bisher unter 1 %!).
- Durch bessere Effizienz von Elektrogeräten können wir quer über Haushalte, Handel/Dienstleistungen und auch in der Industrie 27% einsparen.
Schließlich ein Extra-Absatz für die E-Mobilität. Hier ist auch richtig „Musik“ drin – mit 15 Kilowattstunden Wind-/Solarstrom kommt der Elektro-PKW mit Batterie 100 km weit. 18 km wären es gerade mal beim herkömmlichen Verbrenner, der mit synthetischem Kraftstoff aus Wind-/Solarstrom betankt wurde.
Fossiles Benzin oder Diesel gibt es in unserem System einfach nicht mehr. Die Verbrenner die dann noch auf der Straße sind, müssen mit „synthetischen Kraftstoffen“ aus Wind- und Sonnenenergie fahren. Das ist natürlich sehr ineffizient. Erstens weil die Herstellung von solchem „Benzin“ schon mit sehr hohen Verlusten verbunden ist. Und zweitens weil mehr als 70% der Energie, die wir heute in den Tank schütten, als Verlustwärme aus Kühler und Auspuff kommt, und weniger als 30% auf die Straße. Beim E-Auto kommen 80% und mehr an. Wir rechen mit einem „E-Auto-Anteil “ von gut 2/3 (die Verbrenner werden ja nicht sofort ersetzt – auch wenn nur noch „Stromer“ zugelassen werden) .
Wie viel mehr? Und woher?
Das waren jetzt nur einige Schlaglichter. Wie gesagt: Ingesamt denken wir, dass wir den Energiebedarf um 44% senken können (wer sich weiter in die Zahlen vertiefen möchte, wende sich bitte an mich direkt). Es bleiben aber 56%, die wir erzeugen müssen. Das allermeiste davon müssen wir hier in der Region per PV und Wind erzeugen, wegen der eng begrenzten Potenziale der übrigen Quellen:
- Biobrennstoffe sind natürlich CO2-neutral, haben aber einen irre hohen Flächenbedarf (siehe Grafik „Flächenvergleich“). Wir wollen sie deshalb vor allem als Kraftstoff für die Fahrzeuge einsetzen, die nicht so einfach auf Elektroantriebe umzustellen sind.
- Wasserkraft und Solarthermie sind super, aber aus unterschiedliche Gründen begrenzt. Soweit es sinnvoll ist, wollen wir sie aber ausbauen.
- Auf Importe haben wir grundsätzlich verzichtet (dazu untern mehr).
Hier einmal der Vergleich für Gesamtdeutschland: „Bio-Mais“ braucht über 20-Mal mehr Fläche als Photovoltaik.
Mehr als die Hälfte von Erdgas, Erdöl und fossiler Erdwärme, das heute in die Heizungen geht, wird durch angemessene Wärmedämmung eingespart. Von dem verbleibenden Wärmebedarf wird künftig der größte Teil mit Umgebungswärme gedeckt. Dahinter verbergen sich so genannte „Wärmepumpen“. Das sind Maschinen, die quasi magisches vollbringen: Sie nutzen elektrischen Strom, um die Umgebungstemperatur nach oben zu „hebeln“ und sie so nutzbar zu machen. Dabei machen sie aus einer elektrischen Kilowattstunde drei und mehr Kilowattstunden Raumwärme und Warmwasser. Mit modernen Geräten und Konzepten (Eisspeicher!) ist sogar der Faktor 10 möglich, aber wir rechen ja im Durchschnitt. Wir rechnen hier konservativ mit „Jahresarbeitszahlen“ (gerne auch mal „COP“ genannt) von 3,3 für „Luft/Luft“ und 4,4 für erd- bzw. wassergebundenene Wärmepumpen.
Bleibt: PV und Wind
Wie schon Sherlock Holmes sagte: Wenn du alle Möglichkeiten erschöpft hast, ist das, was übrig bleibt, die Lösung – so unwahrscheinlich es scheinen mag. Gott-sei-dank sind die Zeiten, in denen Sonnen- und Windstrom was für Kreuzberger Ingenieurskollektive mit lustigen Namen wie „Wuseltronik“ war, vorbei. (Das stand übrigens für Wind- und Sonnenelektronik. Und ich bin sehr stolz, dass ich in die letzten 11 Jahre meines Berufslebens mit Pionieren aus eben genau diesem Umfeld verbringen durfte). PV und Wind sind heute die günstigsten Methoden, Energie anzuzapfen, die wir als Menschheit je entwickelt haben – und werden stetig billiger. Sie werden übrigens auch effizienter, was mittel- und langfristig durchaus einen Einfluss aus den Flächenbedarf haben wird. Das haben wir nur sehr konservativ berücksichtigt.
Bleiben also zwei, bzw. drei ziemlich dicke Balken für neue Photovoltaik. Sie muss – in Berlin und Brandenburg – insgesamt um den Faktor 16,5 auf insgesamt gut 60 Gigawatt ausgebaut werden. Also in etwa soviel, wie wir gerade in Gesamtdeutschland haben! Das allermeiste davon muss auf die Dächer – satte 42 Gigawatt! Beim Wind und den Freiflächen-Anlagen (gut 18 GW) entfällt das allermeiste auf Brandenburg. ABER, es zeigt: Wir müssen in Berlin wirklich ALLES an Dachpotenzialen ausschöpfen was geht – und das sind laut dem „Solar-City“ Gutachten der HTW Berlin durchaus 12 Gigawatt – wenn wir auch Balkone und Fassaden nutzen.
Und: Die dann „fehlenden“ 30 Gigawatt werden wir vermutlich nicht nur von Brandenburgs Dächern, Fassaden und versiegelten Flächen kriegen. Darüber müssen wir nochmal ernsthaft nachdenken – und notfalls noch mehr auf Freiflächen-PV verlagern. Hier „belegen“ wir in „Berlin-Brandenburg“ im jetzigen Szenario 1,9% der Landwirtschaftsfläche während es im „Deutschland-Szenario“ 2,8% sind. Allerdings ist das insgesamt ein heißes Thema zu dem wir als BAG Energie auch gerade an einem gemeinsamen Konzept mit der BAG Landwirtschaft arbeiten.
Last, but certainly not least zum Wind: Auch hier müssen wir vor allen Dingen in Brandenburg nochmal viermal mehr Windenergie-Leistung ans Netz bekommen. Wohlgemerkt: Das heißt nicht zwingend, dass es sehr viermal mehr Anlagen braucht, denn die durchschnittliche Leistung der Anlagen ist in den letzen Jahren Stark gestiegen.- Während Windräder im Bestand im Augenblick eine durchschnittliche Leistung von 1,8 Megawatt haben, „können“ neue Anlagen durchaus 5 Megawatt. Das verbraucht zwar nicht weniger Fläche (der Abstand zwischen den Anlagen wird größer), aber weniger Anlagen „stören“ natürlich weniger – und größere Anlagen „zappeln auch weniger, weil sie sich für’s Auge wohltuend langsamer drehen.
Außerdem „steht“ unserer Region auch ihr gerechter Anteil vom deutschen „Offshore“-Wind zu (den bauen wir in unserem Szenario per definitionem maximal möglich aus) – das sind immerhin fast 5 Gigawatt (20,8 GWh/a geteilt durch 4500 h/a = 4,6 GW).
Was machen wir jetzt damit?
So. schön und gut. Wer ist dafür überhaupt zuständig? Um beim Beispiel Fliegen zu bleiben. SO einfach können wir das, jetzt mal ohne Ökodikatatur, gar nicht reduzieren. „Wir“, also etwa Bündnis 90/Die Grünen, so uns die Wähler:innen ihr Vertrauen schenken, können es teuerer machen. Durch Bundesregeln. Und wir können die Alternativen, sprich die Bahn, ausbauen. In Berlin können wir natürlich auch die Menschen besser vor Fluglärm schützen – indem wir die Ruhezeiten verlängern, und damit auch das Flugaufkommen verringern.
Das ist allerdings nicht überall so: Der Wärmesektor zum Beispiel liegt zu sehr großen Teilen in der „Kontrolle“ des Landes Berlin. Natürlich spielen auch hier die Bundes- und übrigens auch die europäischen Regeln hinein. Aber Berlin kann durch eine integrierte Wärmeplanung und eine schnelle, natürlich sozialverträgliche Sanierung die insgesamt benötigte Heizenergie massiv senken. Da ist es dann sehr einfach: bessere Planung = weniger Heizenergie = weniger Windräder, die wir den Brandenburger:innen vor die Nase setzen müssen.
Aber zur Wärmewende – und der damit verbunden Frage ob und wenn ja welche Form von Gas, bzw. Wasserstoff-Kraftwerk wir dazu brauchen – kommt hier demnächst auch ein Extra-Post.
Fragen
Was 100prosim kann – und was nicht?
Ich habe es oben schon angesprochen: Natürlich ist auch 100prosim nicht perfekt. Hier die wichtigsten „Einschränkungen“:
- es ist keine Netzsimulation, d.h. wir gehen einfach davon aus, dass wir die Energie, insbesondere den Strom, ohne Engpass dahin bringen können, wo wir sie bzw. ihn brauchen. Das ist aber etwas weniger „schlimm“ als mensch vielleicht denken könnte. Denn wir gehen ja von einer regionalen, eher dezentralen Versorgung aus, insofern haben wir natürlich weniger Probleme mit einem eventuell benötigten gigantischen Netzausbau.
- es ist keine techno-ökonomische Optimierung. Geld spielt also erst dann eine Rolle, wenn es um die Abwägung zwischen verschiedenen Lösungen geht, die technisch möglich, ökologisch und sozial vertretbar sind . Aber, ich habe es oben bereits angesprochen: PV und Windenergie sind billigsten „Energiequellen“ EVER. Und sie werden immer günstiger, genauso wie Speicher und andere wichtige Technologien wie Wärmepumpen auch. Daher ist ziemlich klar: Je schneller wir CO2-neutral werden, desto günstiger wird es.
- Auch die Frage nach den relativen Kosten von Speichern und Netzen betrachten wir nicht. Die machen durchaus einen Unterschied. Im besten Fall brauchen wir durch ein besonders effizientes System etwas weniger erneuerbare Erzeugung, also weniger Wind- und PV-Ausbau. Aber den behalten wir uns in der „Hinterhand“ – vielleicht sind wir ja in der Effizienz nicht so gut wie hier erwartet? Und wenn doch? na, dann sind wir mit dem klimaneutralen Umbau unserer Region halt schneller fertig. Es gibt wahrlich Schlimmeres!
Sonstige selbstgewählte Einschränkungen
Zudem haben wir drei weitere wichtige Einschränkungen, die aber „selbstgewählt“ sind:
- Erstens unser ziemlich radikal dezentraler Ansatz. Warum können wir nicht aus Schleswig-Holstein, Meck-Pomm oder Thüringen „importieren“. Antwort: Erstens brauchen die auch Energie. Zweitens geht es uns mit 100prosim ja darum, den Flächenbedarf ehrlich zu benennen. Insofern ist ja egal, wo die PV- oder Windenergie-Anlage steht – sie geht in jedem Fall auf unser „Konto“.
- Wieso gar kein Energie-Import aus dem Ausland? Peter Altmaier sagt doch immer, wir importieren jetzt 80% unserer Energie (Kohle, Öl und Gas eben). Das würden wir einfach künftig auch machen, nur halt mit Wasserstoff. Das ist natürlich Blödsinn! Wasserstoff ist zwar gerade irre gehypt (auch hier folgt hier demnächst noch ein extra Beitrag), aber es gibt ihn im Augenblick gar nicht, schon gar keinen „grünen“. Außerdem ist völlig unklar, woher, wie und zu welchen Kosten wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren wirklich grünen Wasserstoff beziehen können. Ich will das gar nicht ausschließen, ich hoffe sogar sehr darauf, aber eines ist schon heute klar: Es wird auf jeden Fall teuer den Wasserstoff zu importieren als ihn hier zu produzieren. Der einzige Grund für Import ist daher, dass wir hier im Land einfach nicht genug erneuerbare Erzeugungsanlagen, also Windräder und PV-Anlagen, gebaut bekommen. Das ist (leider) alles andere als unwahrscheinlich, obwohl ja genügend Fläche vorhanden wäre. Aber unter dem Ausbaubedarf zu bleiben, reduziert unter dem Strich den Flächenbedarf nicht – sondern erhöht ihn sogar signifikant, weil der Wasserstoff dann sehr verlustreich über längere Stecken transportiert werden können muss. Außerdem ist die Frage, wieviel Auslagerung uns unerträglich erscheinender Windräder und Solarflächen ins Ausland den Mitmenschen dort zuzumuten wäre.
- Wieso 2040 nicht 2035? Hast du nicht oben geschrieben, wir wollten Klimaneutralität bis 2035? Ja das stimmt. Das will ich auch weiter. Dennoch haben wir uns nach längerer Debatte dafür entschieden, doch einen 20-Jahreszeitraum zu „nehmen“ um das Ganze etwas „realistischer“ zu machen. Aber auch hier gilt: sehr gerne schneller. Es wäre nicht zu unserem Schaden
Und was jetzt?
Wie gesagt: das hier ist ein Zwischenergebnis nach zwei intensiven Workshops der gemeinsamen bündnisgrünen Landesarbeitsgemeinschaft Energie der Länder Berlin und Brandenburg. Wir möchten diese Arbeit fortsetzen und dieses Szenario durch Einbindung wichtiger Stakeholder, etwa den jeweiligen Parteispitzen, Fraktionen und auch den menschen die in beiden Ländern für uns in der Regierung sitzen, verfeinern.
Wird das etwas ändern?
Ganz sicher sogar. Bislang sind alle Szenarios von 100prosim durch mehr Input immer besser geworden. Vor allem aber binden sie mehr Stakeholder ein indem sie die Dimensionen und die nötigen Anstrengungen für die Klimaneutralität die ja ein Großteil unserer Bevölkerung explizit will, deutlich machen – aber eben auch Wege dahin aufzeigen.
Und natürlich kann sich dabei durchaus noch etwas an den Ergebnissen tun. Durch etwas genauere Annahmen, beste Politik aber vor allem durch eine effizientere Nutzung der energie quer über die Sektoren können wir sicher auch etwas Solar- und Wind-Ausbau „sparen“. Ich hoffe es sogar sehr. Aber ob wir die Photovoltaik auf Dächern nun um den Faktor 40 oder eben doch nur „20“ steigern müssen ändert „in der kurzen Frist“ praktisch erst mal nix: Wir müssen ausbauen so schnell es geht. Wie gesagt: Wenn wir „Glück haben“ und auch mit etwas weniger „hinkommen“ sind wir zur „im schlimmsten Fall“ halt etwas vorher fertig – aber das wäre ja nicht das Schlechteste.